Haftbedingungen bei G8
Marco Maas am Montag, den 11. Juni 2007Ich hab immer noch keine Zeit für ein Gipfelblog-Fazit, und ich hab auch noch was in petto - aber jetzt fehlt wie immer die Zeit… Daher in Kürze (alles Süddeutsche Zeitung):
Ich hab immer noch keine Zeit für ein Gipfelblog-Fazit, und ich hab auch noch was in petto - aber jetzt fehlt wie immer die Zeit… Daher in Kürze (alles Süddeutsche Zeitung):
… wenn es nach den Politikern geht, ist zum einen ein neues Stichwort “Heiligendamm-Prozess”. Merkel hat es in ihrer Pressekonferenz mindestens vier Mal benutzt. Gemeint ist ein halbwegs institutionalisierter Dialog mit “wichtigen Schwellenländern über die größten Herausforderungen der Weltwirtschaft” , wie die deutsche G8-Präsidentschaft hier erklärt. Weitere offizielle Gipfel-Ergebnisse gibt es dort auch. Es sind erstaunlich wenige und erstaunlich kurze Dokumente - ein eklatanter Unterschied zwischen dem einst informell entstandenen G8-Gipfel und etwa den Beschlüssen der EU-Gipfel.
Für die andere Seite spricht auch Attac von einem Erfolg: Die Proteste hätten gezeigt, dass die Politik der G8 keine Legitimation besäßen. Auch Block G8 ist zufrieden mit den Blockadeaktionen und bittet um Spenden zur Deckung der Vorbereitungskosten. Die Organisatoren des Konzerts “Deine Stimme gegen Armut” verraten auf ihrer Website leider noch nicht, was denn nun an Einnahmen bei dem Konzert herumgekommen ist.
Der Republikanische Anwaltverein sucht laut seiner Website Zeugen für einen mutmaßlichen Fall von Polizeigewalt gegen Demonstranten und hat laut Spiegel Online Rechtsmittel gegen die Unterbringung von Festgenommenen angekündigt. In eigener Sache geht der RAV in eigener Sache mit Unterstützung durch einen versierten Presserechtsexperten gegen die Berichterstattung der Bild-Zeitung vor.
So, Hin- und Rücktransport in die Verbotene Zone mit der Dampfbahn Molli ging recht zügig, auch wenn auf der Fahrt zurück noch ein paar Demonstranten von den Schienen entfernt werden müssen. Irgendwas kann doch an diesem Polizeieinsatz nicht ganz perfekt geplant sein: Kann man bei den tausenden Polizisten, die hier im Einsatz sind, nicht einfach auf den paar Kilometern von Kühlungsborn nach Heiligendamm alle 50 oder 100 Meter einen Posten aufstellen. Oder haben sich die “Störer” unterirdisch ans Gleis herangearbeitet?
Nachtrag: Der grüne Blogger Till Westermayer lobt die erfolgreiche Demo-Taktik nach Castor-Vorbild.
Britta Scholtys war für tagesschau.de mit Anwälten des von G8-Kritikern organisierten rechtlichen Notdienstes in Rostock unterwegs: “24 Stunden Licht” in einer Gefangenensammelstelle. netzpolitik verweist unter dem Titel “Käfighaltung” auf weitere Texte bei Indymedia sowie Spiegel Online. Das Foto bei netzpolitik erzeugt in der Tat ein Guantanamo-Feeling.
Im Pressezentrum ist mir zu langweilig geworden. Draußen toben Schlachten, heißt es. Am Zaun sei die Hölle los. Ich starte meinen Feldversuch: mit dem Fahrrad zum Zaun - oder zumindest soweit es geht. Und das ganze in Zivil. Die gelbe Journalisten-Hundemarke verstecke ich unter meinem Hemd. Ich will ausprobieren, wie weit ich mit meinen Bürgerrechten komme. Schon eine Stunde später sollte ich mitten drin sein - in der Feldschlacht. Aber damit rechnet ja kein Mensch…
Sebastian hatte schon darauf hingewiesen, wo das Konzert in Rostock via Netz zu hören ist. Hier steht auch, wo man es im TV sehen kann.
Nachtrag: Bei AOL läuft schon die Wiederholung im Stream. Ab Mitternacht auch noch mal bei Phoenix im TV und Stream in voller Länge. Angenehme Überraschung für mich: Bangla aus Bangladesh (natürlich nichts für Weltmusik-Verächter).
Aufregung im kuschligen Pressezentrum. Greenpeace-Schlauchboote dringen in die Sicherheitszone ein und werden von Marine und Wasserschutzpolizei verfolgt. Das passiert zwar direkt vor der Haustür, wird aber dankenswerter Weise auch live auf die Großbildschirme übertragen.
Und ehrlich: das war die spektakulärste Verfolgungsjagd, die ich je gesehen habe. Was daran liegt, dass das die einzige Verfolgungsjagd war, die ich je gesehen habe…
Drinnen - wir sind nun das erste mal wirklich durch den Zaun. Marco ist schon unterwegs zum obligatorischen Familienfoto, ich bin noch in der Warteschleife zu meiner Pool-Position. Auf dem Weg dahin: 2 Stunden warten in der Sicherheitskontrolle, wie am Flughafen nur in gründlich.
Zauneinfahrt: und weit und breit nur gelangweilt dreinblickende Beamte. Auf dem ganzen Weg nicht ein Demonstrant zu sehen. Alle schon in Rostock beim Konzert?
Die Clowns sind überall. Sie sind die Gegenbewegung zum schwarzen Block. “Wir wollen nur spielen”, sagt einer als wir in Hinter Bollhagen am Sicherheitszaun stehen. Der Clown trägt eine rote Perücke über seinem weiß geschminkten Gesicht und spricht in einem komischen Tonfall. Er versucht wie ein kleines Kind zu klingen. “Wir sind aus der Clown-Galaxie hier auf die Erde gekommen, weil die Erde der einzige Planet ist, der noch von Machtstreben, Ausgrenzung und Kapitalismus geprägt ist.” Die Kinderstimme wird immer niedlicher. Für einen kurzen Moment wünsche ich mir den schwarzen Block her. Dann finde ich den Clown doch ganz nett. Er hat keinen Pflasterstein in der Hand sondern nur eine kleine rote Blume.
Heute hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot für den morgen geplanten Sternmarsch auf Heiligendamm bestätigt. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Schwerin das Demoverbot teilweise außer Vollzug gesetzt und den Teilnehmern des Sternmarsches erlaubt, sich bis auf 200 Meter dem Sicherheitszaun zu nähern.
Polizisten und Demonstranten war das am frühen Nachmittag noch ziemlich egal. Ungefähr zwei Meter vor dem Zaun trafen etwa 50 Demonstranten auf geschätzte 200 Polizisten und eine Handvoll Journalisten.
Die Demonstranten haben sie nicht aufhalten können: Während die Staatschef zum Aperitif schreiten, wird draußen - offenbar bei Vorder Bollhagen eine Sitzblockade mit Wasserwerfern geräumt. Bis 19 Uhr meldet die Polizeizentrala Kavala heute 138 Festnahmen. Laut Attac gibt es derzeit noch zwei weitere Blockaden: 5000 Personen bei Börgerende-Rethwich, 9000 bis 1000 Leute bei Kontrollpunkt am Zaun nahe Bad Doberan.
Im Pressezentrum preist man über den Hauskanal zeitgleich das Büffet (warm) an. Diesmal keine dort Schlangen.
Gerade eben in Vorder Bollhagen. Hier führt direkt der große Absperrzaum durch die Vorgärten der Anwohner. Einen Kilometer weiter beginnen Demonstranten offenbar den Zaun zu stürmen. Vorder Bollhagen ist wie ausgestorben. Nicht etwa weil sich die Menschen verkriechen. Nein, nein. Am nördlichen Ortsausgang landen vier Polizeihubschrauber und hier ist das ganze Dorf versammelt. Die Polizeihubschrauber spucken schwarz uniformierte Polizisten aus. Die Ortsbewohner fotografieren.
“Seit drei Tagen ist hier die Hölle los los”, sagt ein älterer Mann mit Bierbauch über dem sich ein verwaschenes Polohemd spannt. “Gestern haben irgendwelche Chaoten einen Beutel Mehl an den Zaun geworfen und die Polizisten haben geglaubt, es wäre Anthrax.” “Aha”, sage ich. “Jaja”, sagt der Mann mit dem Bierbauch. Und überhaupt die Demonstranten. Die hätten von einem befreundeten Bauern das ganze Feld zertrampelt. Direkt vor dem Zaun. “Zuerst hatte er im Mai mit der Trockenheit zu kämpfen. Jetzt hat er sich ganz umsonst über den Regen gefreut.”
Der Bierbauchträger war früher DDR-Grenzer. “Bei den Russen wurde nicht lange gefackelt, da wurde geschossen”, sagt er. Jetzt hat er gehört, dass auch hier geschossen werden darf. “Sobald die Demonstranten den Zaun stürmen.” Seine Augen glänzen. “Aber zum Glück, leben wir jetzt ja in einer anderen Demokratie.” So, so.
“Jetzt sind nur noch kleine Gruppen, anders als vor drei, vier Stunden. Da waren es teilweise hunderte von Leuten”, sagt der Polizeibeamte, der durch einen Feldstecher das Gelände beoachtet. Die Polizei hält sich aber hier eher zurück und wartet, bis die Demonstranten zu ihnen kommen: “Wir haben natürlich überall im Gelände Kräfte”, sagt der Mann.
Mache Demonstranten bleiben weiterhin auf den Wegen. Eine kleine Gruppe von vielleicht zehn Leuten kommt uns auf dem Weg nach Steffenshagen entgegen, gefolgt von einem klassischen Streifenwagen. Das erinnert eher an eine Mini-Demo in einer Kleinstadt. Auch Tramp-Versuche gibt es häufiger. Wir nehmen niemanden mit.
Anderswo werden “Waldläufer” auch von der Polizei in Gewahrsam genommen, schreiben die Kollegen von blog.tagesschau.de.
Und wieder sind es die Clowns, rund 50 bis 70 Demonstranten, die sich mit den Beamten der Bereitschaftshunderschaft Eiche Erwin amüsieren. Sie haben es bis direkt vor den Kontrollpunkt Vorder Bollhagen geschafft. Entspannte Atmosphäre. Bis darauf, dass die einen nicht rein, die anderen (die in Grün) nicht raus dürfen. Nach etwa einer Stunde zieht der Clownszug wieder ab, zurück zur Volksküche, die sich eine Wegkreuzung weiter westlich postiert hat.
Auch wir fahren weiter. Vom großen Demonstrationszug, der sich dem Hautpeingang in die Sperrzone nähert, ist nichts zu sehen. Immer wieder sieht man allerdings kleine Gruppen von Demonstranten oder Presseleuten über die Felder ziehen. Oben ziehen Hubschrauber ihre Kreise. Die Helikopter kommen immer näher, Polizisten sind jetzt auch auf dem Waldweg unterwegs zur Sperre vor uns. Ich sehe mir das mal an.
Demonstranten blockieren die Molli-Bahnstrecke, mit der die Journalisten vom Pressezentrum in Kühlungsborn nach Heiligendamm gebracht werden. dpa vermeldet den Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten, nachdem tausende G8-Gegner östlich von Heiligendamm eine Zufahrtsstrasse zu erreichen versuchten. Fiete hat was von 6000 Demonstranten gehört. Autobahn 19 ist blockiert. Wir schicken Fiete ins Krisengebiet. Zeitgleich landet der Japanische Premierminister Shinzo Abe in Rostock-Laage.
12:32 Uhr: Die Grünen erklären den G8-Gipfelbereits vor dem offiziellem Beginn als gescheitert. Romano Prodi ist in der Anflugphase, Fiete im Auto.
Auf dem Weg zum Pressezentrum, laut Navi Ankunft in 3 Minuten, wurden wir von einer kleinen Demonstration mit ca. 300 Personen aufgehalten. Die Clown-Army-Fraktion war unübersehbar, wobei sich alle recht ruhig verhielten, und nur kleine Gruppen die typischen Parolen skandierten. Die Polizei setze trotzdem bis zur Klärung des wohl kurzfristig vom Legal Team eingereichten Antrags auf Demonstrationserlaubnis (oder wie das auch immer juristisch korrekt heisst) auf (de?)eskalierende Abschreckung durch massive Präsenz mit den Worten: “Wir ersetzen die bisherigen Beamten jetzt durch dicker angezogene”. Nach ca. einer dreiviertelstunde wurde die Demonstration dann doch noch zugelassen und durfte ihren Weg fortsetzen. Wir schafften es, uns mit noch einigen weiteren Wagen kurz vor der Gruppe Richtung Pressezentrum durchzuschlagen. Hier ein paar Fotografische Impressionen von Marco und Sebastian. Fiete hielt wacker die Kamera, sein Bericht folgt noch. Philipp hats leider verpasst, ihn hat die Deutsche Bahn festgehalten.
Hier gibts die Fotos: (more…)
Das ZDF-Blog klärt mit einem Video der Rede über die angebliche Kriegserklärung von Walden Bello auf der Kundgebung in Rostock auf. (via 50 hz)
Die idee, um vier uhr morgens “wacht auf verdammte dieser erde” über das camp zu grölen, wurde nach kurzer diskussion verworfen.
Spree8 ist auf dem richtigen Weg.