Feldversuch und Feldschlacht

Im Pressezentrum ist mir zu langweilig geworden. Draußen toben Schlachten, heißt es. Am Zaun sei die Hölle los. Ich starte meinen Feldversuch: mit dem Fahrrad zum Zaun - oder zumindest soweit es geht. Und das ganze in Zivil. Die gelbe Journalisten-Hundemarke verstecke ich unter meinem Hemd. Ich will ausprobieren, wie weit ich mit meinen Bürgerrechten komme. Schon eine Stunde später sollte ich mitten drin sein - in der Feldschlacht. Aber damit rechnet ja kein Mensch…

Wasserwerfer

Zunächst einmal mache ich mich auf in Richtung Osten. Immer am Meer entlang. Ein staubiger Weg führt zwischen hohen Hecken und Gebüsch nach Heiligendamm. Links liegt das Meer mit dem FKK-Strand, rechts liegt die Molli-Strecke nach Heiligendamm. Kein Mensch da. Keine Polizisten, keine Demonstranten - nichts. Und das nur etwa zwei Kilometer von Zaun entfernt.

Nach Heiligendamm

Schon nach fünf Minuten Fahrt verspricht es etwas spannender zu werden. Der Weg mündet in einen Platz. Links ein Zugang zum Strand, bewacht von zwei stämmigen Polizisten. Rechts ein ganzer Fuhrparkparkplatz. Und am Strand, da hat es sich eine Gruppe kritische denkender Menschen bequem gemacht. Die glaube ich zu erkennen, weil sie lange Haare mit Dreadlocks tragen, kurze Hosen anhaben und barfuß über den Steinstrand laufen. Außerdem werden sie von einem extra stämmigen Polizisten überwacht, der in Sichtweite auf einem Fels rumlungert. Im Hintergrund schimmert das Weiß des Hotels Kempinski über die Ostsee. Halbzeit.

Fuhrpark strandcops.jpg Das Weiß von Heiligendamm

Ich spreche mit einem groß gewachsenen jungen Mann. Er trägt neben kurzen Hosen und Dreadlocks auch eine Brille. “Wir sind auf diesem Weg bis zum Zaun gekommen”, sagt er. Dort seien sie dann von Polizisten zum Strand umgeleitet worden. “Dann kam der Chefpolizist und hat uns vertrieben. Bis 200 Meter vor den Zaun. Seitdem sind wir hier.” Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil es plötzlich ganz einfach scheint auf meinem Weg bis zum Zaun zu kommen. “Wenn Dir langweilig wird, dann schlag Dich rechts durch den Wald. Dann kommst Du zu der Blockade”, sagt mir der Große mit der Brille. “Ich werd dran denken”, sage ich und setzte mich wieder auf mein Fahrrad.

Nach wenigen Metern, treffe ich auf zwei langhaarige Menschen, die Polizisten nach den Weg fragen. Ein lustige Szene. Leider kann ich nicht stehen bleiben und zuschauen. Ich habe eine Mission. Der Zaun wartet.

wogehtslang.jpg

Doch schon wenige Meter weiter werde ich von einer freundlichen dunkelhaarigen Polizistin gestoppt. “Hier kommen sie nicht weiter. Ab hier brauchen Sie eine spezielle Akkredtitierung”. Die habe ich nicht. Auch meine gelbe Journalisten-Hundemarke hilft nicht weiter. Ob es denn theoretisch auf diesem Weg weiter nach Heiligendamm ginge, frage ich die Polizistin. “Keine Ahnung. Ich habe jede Orientierung verloren”, sagt sie. Sie sei aus Niedersachsen, werde den ganzen Tag durch die Gegend gefahren und nein, losgewesen sei auch nichts. “Wir langweilen uns hier weiter”, sagt die dunkelhaarige Polizistin.

Ich spiele mit dem Gedanken mich durch die Büsche zu der Blockade durchzuschlagen. Aber mittlerweile steht überall Polizei. Außerdem ist mir der gestrige Kontakt mit der Natur noch gut in Erinnerung. Ich beschließe die Straße zu nehmen. Vorbei am Fuhrparkparkplatz, über die Felder, durch eine kleine Wohlstandsiedlung, hinein in die letzte Polizeiabsperrung. Meine gelbe Journalisten-Hundemarke verschafft mir Durchlass. Und dann bin ich Teil der Blockade von Hinter Bollhagen.

Blockade1 blockade2 blockade3

Allerdings stehe ich nicht auf der Seite der Demonstranten. Ich stehe auf Polizistenseite - ohne genau zu wissen, wie das passiert ist.

feldschlacht1.jpg

feldschlacht2.jpg

Ich bin genau rechtzeitig gekommen. Gerade fahren die Wasserwerfer auf. “Bitte entfernen Sie sich 100 Meter von der Polizeikette weg”, hustet es aus einem Wasserwerfer-Lautsprecher. “Dies ist die dritte Aufforderung. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, werden wir Wasser und körperliche Gewalt gegen Sie einsetzten.” Die Demonstranten bewegen sich nicht. Dafür bewegen sich die Wasserwerfer. “Polizeikräfte: Go!”, schreit der Wasserwerfer-Lautsprecher und dann geht es los.

Notarzt

Notarzt2

Bis zum Schluss kann ich nicht bleiben. Ich stehe im Feld. Die Augen tränen, die Nase läuft und Taschentücher hab ich auch keine mehr. Ich fahre zurück ins Pressezentrum. Den Zaun habe ich nicht gesehen, von meiner Hundemarke mehr Gebrauch gemacht als von meinen Bürgerrechten und mit Demonstranten konnte ich auch nicht sprechen. Wenigstens scheint noch die Sonne.

 
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3 Responses to “Feldversuch und Feldschlacht”

  1. Bildschirmtext » Blog Archive » Premium Content Says:

    […] Anspruch ist genauso zeitaufwendig, als würde man für andere Medien arbeiten. An längeren Beiträgen mit Fotos, Video und Text kann man auch schon mal vier Stunden […]

  2. Anonymous Says:

    fuck police

  3. Max Says:

    Was soll man dazu sagen? Da fehlen einem doch wirklich die Worte. Und das in der heutigen Zeit. Wo leben wir denn und wo soll das alles hinführen? Auf den Bildern herrscht ja regelrecht ein Schlachtfeld. Das ist eindeutig “too much”.

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