Gewinner und Verlierer
Juni 23rd, 2007 by Marco MaasAlexander hat sich einmal die Spielregeln für das Heiligendamm-Game angeschaut. Fazit: Sowohl Polizei als auch Demonstranten haben gewonnen - irgendwie…
Alexander hat sich einmal die Spielregeln für das Heiligendamm-Game angeschaut. Fazit: Sowohl Polizei als auch Demonstranten haben gewonnen - irgendwie…
… wenn es nach den Politikern geht, ist zum einen ein neues Stichwort “Heiligendamm-Prozess”. Merkel hat es in ihrer Pressekonferenz mindestens vier Mal benutzt. Gemeint ist ein halbwegs institutionalisierter Dialog mit “wichtigen Schwellenländern über die größten Herausforderungen der Weltwirtschaft” , wie die deutsche G8-Präsidentschaft hier erklärt. Weitere offizielle Gipfel-Ergebnisse gibt es dort auch. Es sind erstaunlich wenige und erstaunlich kurze Dokumente - ein eklatanter Unterschied zwischen dem einst informell entstandenen G8-Gipfel und etwa den Beschlüssen der EU-Gipfel.
Für die andere Seite spricht auch Attac von einem Erfolg: Die Proteste hätten gezeigt, dass die Politik der G8 keine Legitimation besäßen. Auch Block G8 ist zufrieden mit den Blockadeaktionen und bittet um Spenden zur Deckung der Vorbereitungskosten. Die Organisatoren des Konzerts “Deine Stimme gegen Armut” verraten auf ihrer Website leider noch nicht, was denn nun an Einnahmen bei dem Konzert herumgekommen ist.
5.000 JournalistInnen an der Ostsee: Der G8-Gipfel war auch ein großes Medienereignis. Jochen Lüttich und Wiebke Dierkes vom Freien Sender Radio Unerhört aus Marburg haben die Arbeit der Journalisten kritisch begleitet. Nicht alles ist dabei optimal gelaufen, finden sie. Wir haben die zwei interviewt. (Achtung: Eine gekürzte Fassung dieses Gespräches ist auch in der taz erschienen.)
Warten auf Wladimir im Briefing Room 4 im Obergeschoss. Eine ganze Menge Journalisten, Kameraleute und Fotografen ist direkt nach der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin hier herein geströmt. Es ist heiß. Und wieder heißt es: Verfolgt vom Vorbild. Wir hatten das ja schon mal thematisiert: Immer wieder kreuzen sich hier unsere Wege mit denen von Thomas Roth und Ulrich Deppendorf. Wo wir sind, tauchen sie auch auf - oder umgekehrt?
Diesmal stehen sie direkt in meiner Nähe, ringsherum viel zu viele andere Leute für den Raum, der halb so groß ist wie der Saal, in dem Angela Merkel vorhin ihre große Zufriedenheit mit dem Gipfel verkündet hat. Roth hat einen Rucksack von Jack Wolfskin geschultert, ich trage eine Hose derselben Marke und wähne mich auf dem richtigen Weg, obwohl ich hier drinnen tierisch schwitze. Die beiden Anzugträger scheinen hingegen unbeeindruckt, Deppendorf fächelt sich lässig mit einem Papier Luft zu.
“Ganz schön was los hier”, meint der eine der Großen zum anderen, während der eher politisch Große weiter auf sich warten lässt. “Da ist auch viel Sightseeing dabei”, entgegnet der andere. Ich bin ertappt.
Für Thomas Roth auch auf dem Rückweg keine Ruhe. In der vollgestopften Molli muss er noch einem Reporter im Junge-Liberale-Outfit (der Frager, nicht Roth) ein Interview geben. Erst dann Zeit für eine Zigarette.
Journalisten und Sanitäter sitzen im Pressezentrumsstrandkorb, auf der anderen Seite geht die Rebel Clown Army baden - nackt. Die Flachbildschirme kündigen als nächste Bilder die Abreisen ab. Das heißt wohl: Sie haben fertig.
Wir noch nicht ganz, es wird hier noch den einen oder anderen Nachtrag geben. Also noch etwas dranbleiben, bitte. Mindestens bis morgen.
“Die Chance zu einem echten Fortschritt war da und ist vertan worden,” sagt Tobias Münchmeyer, Klimaexperte von Greenpeace. Für die Umweltaktivisten war der G8-Gipfel ein Flop. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist da anderer Meinung. Einen ganz wichtigen Schritt nach vorne, glaubt Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern getan zu haben. “Klar ist das ein Fortschritt”, sagte auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gestern Nacht im ZDF. “Dass ein amerikanischer Präsident das Wort ‘Kyoto’ in den Mund genommen hat, ist seit sechs Jahren nicht mehr passiert.”
Auch die Zeitungen, die heute Morgen hier im Pressezentrum auslagen, sahen die Klimabeschlüsse nur bedingt als Durchbruch:
… so das Programm. Warten im Schatten auf Frau Merkel. Vorne am Briefing-Container ist noch mehr los.
Die liberale russische Zeitung Kommersant schreibt:
«Die deutsche Polizei verhält sich hier erstaunlich friedfertig. Die Beamten sind gutmütig und fröhlich. Sie kümmern sich um die Globalisierungsgegner wie eine Erzieherin im Kindergarten auf die Kleinen Acht gibt.
Die Polizisten machen hinter den Demonstranten sauber und führen sie an der Hand zu weniger gefährlichen Orten. SelbstBlockadeteilnehmer werden äußerst sorgsam über die Straße geleitet,damit niemandem etwas passiert.»
Am Tisch neben mir sitzt ein Japanischer Kollege und prostet mir genüsslich mit einem Glas Kondens!milch zu. Auf dem Monitor sieht man, wie Hubschrauber den Greenpeace-Heissluftballon zur Landung zwingen. George Bush ist erkrankt und kann nicht zur ersten Arbeitssitzung kommen. Haben die gestern noch gefeiert und sich dann gezofft? Maas feilscht grade mit einem Werkstattmeister um die Kosten für seine neue Autobatterie, da die alte uns verlassen hat. Der Werkstattmeister ist übrigens sehr zu frieden und meint, er hätte schon mit meheren Polizisten gesprochen, die gerne wiederkommen würden. Die Sonne scheint. Guten Morgen aus Kühlungsborn.
Während der Autoresizer gerade die Bilderauswahl für die Soundslides-Show runterskaliert, einmal für die Weltöffentlichkeit ein Auszug aus den Erlebnissen der vergangenen - kurzen - Nacht. Arbeit bis kurz nach Null, Anglernazi mit Eisernem Kreuz auf Brücke getroffen, Taxifahrer mit Baseball-Schläger (”Solange ich einen Ball im Handschuhfach habe, gilt das als Sportgerät” (und zeigt uns stolz denselbigen) oder “Der dient nur zur Provokation”), der gestorbenen Autobatterie, die morgen früh ausgetauscht wird und uns ein Einschlafen erst gegen drei Uhr morgens ermöglich hat, Thomas Roth, der uns stalkt (er hätte nur fragen müssen, wir hätten ihn mitbloggen lassen), Mandy, Cindy und Jaqueline im Service, Kevin in der Küche, illustre Runde mit den übrigen Gipfelbloggern, dem Kollegen Svensson und der hochgeschätzten Gastbloggerin Steffi.
netzpolitik verweist nicht nur auf den Entwurf zur G8-Abschlusserklärung (PDF), sonder hat darin auch gleich eine Passage ausgemacht, die ihnen missfällt - noch mehr Kampf gegen alles Raubkopiererhafte:
We also welcome educational campaigns with the help of business communities in our countries directed at raising awareness of consumers with regards to the negative effects of counterfeiting and piracy.
Hier werden dieses und irgendwann weitere offizielle Gipfeldokumente veröffentlicht.
Außer Polizisten, Geheimdienstmitarbeitern und Leibwächtern darf in Heiligendamm noch jemand eine Waffe tragen: Kurt Schwarz, 78. Der Jäger und ehemalige Trainer der DDR-Sportschützen lebt in Heiligendamm und soll bei Wildunfällen während des Gipfels eingreifen. Im Interview beschreibt er die Situation für die Einwohner der „grünen Zone.“
Gerade haben wir uns am Strand mit den Aktivisten von Oxfam vergnügt. “Die Oxfam-Big Heads werden sich am Strand von Kühlungsborn erholen, anstatt dringend notwendige Schritte im Kampf gegen die weltweite Armut zu beschließen”, hieß es in der Ankündigung. [Update: Jetzt gibt es auch ein Video]
Hatte auch noch nen Fotopass für das Familienfoto bekommen, Bilder sind im Kasten, aber Molli fährt gerade nicht, entweder weil die Strecke gerade wie gestern gesperrt ist, die Gefahr besteht, gesperrt zu werden oder sonstirgendwas. Jetzt warten wir auf einen Alternativ-Transport mit Booten. Herr Gerhard hat gerade ein Shooting mit George und Angie im Strandkorb, Bilder folgen. Boot ist fast so toll wie Hubschrauber.
Die Kollegin Steffi Dobmeier hat uns aus dem Westflügel des Pressezentrums einen kleinen Gastbeitrag zugesteckt:
Jaja, es geht hier nicht nur um Demonstranten und wie sie Wege blockieren, es geht hier auch um Inhalte. Allen voran um das Klima, das die Europäer eher schützen möchten als Japan und die USA. Im Hotel Kempinski wird darüber diskutiert, hier wird darüber geschrieben.